Rallye Dakar

Norbert Schilcher bei der Rallye Paris-Dakar

Die Rallye Paris-Dakar war mein der großer Traum. Einmal das Ziel mit dem Motorrad erreichen!

Beim dritten Anlauf 1996 ist es dann auch gelungen und mit einem 9. Platz in der Gesamtwertung und dem Sieg in der Marathonklasse zudem ein riesen Erfolg!

Die größten Abenteuer jedoch waren die ersten beiden Versuche auf einer Honda Dominator!


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Rallye Dakar 1991

Dakar 1991 - Die Story

Paris Dakar 1991

Die Erlebnisse des Privatfahrers Norbert Schilcher bei der härtesten Rallye der Welt


Wie ein unbeholfener Schüler stehe ich manchmal da, wenn mich jemand fragt: " Na, wie war ´s denn bei der Dakar?". Wie soll ich im Vorbeigehen in einem oder zwei Sätzen sagen, was ich in den 4 Wochen von Weihnachten ´90 bis zum 22.Januar ´91 erlebt habe? Sollte ich ganz einfach sagen: "Es war super", dann könnte ich genauso gut sagen: "Es war der pure Wahnsinn" . Ich hab den richtigen Satz noch nicht gefunden. Verrückt, wahnsinnig, super, ätzend, schlimm, unglaublich, kalt,heiß, naß, trocken, kameradschaftlich, zum kotzen, romantisch, gesellig, nervig, lustig, dramatisch, tödlich, gigantisch, schön, teuer, durstig, hungrig, sandig, steinig, schwer, ziemlich schwer, zu schwer, hart, weich, dreckig, sonnig, traumhaft, anstrengend, ermüdend, undicht, .... All diese Wörter müssten in dem Satz vorkommen. Wenn ich mich dann mit der Aussage, daß es einfach nicht möglich ist, in wenigen Minuten die Geschichte zu erzählen, so recht und schlecht aus der Affäre ziehe, dann kommt mit hunderprozentiger Sicherheit die 2. Frage hinterher: " Fährst du im nächsten Jahr wieder mit"? Und auf diese Frage will ich mich dann ebenso wenig einlassen wie auf die erste. Denn ich kann und will zu dieser Frage einfach noch keine definitive Ausage treffen.


 Wie kommt man dazu, so verrückt zu sein und an der Rallye Paris-Dakar teilzunehmen, dafür viel Geld zu bezahlen und alle Risiken auf sich zu nehmen. Ich habe oft darüber nachgedacht, aber eine absolut perfekte Erklärung habe ich nicht gefunden. Ich habe nur immer wieder gespürt, daß eigentlich sehr viele Menschen das Bedürfnis nach so einem Abenteuer haben. In der Regel gibt man sich mit dem Traum zufrieden oder als Zuschauer vor dem Fernseher. Andere fahren zum Start nach Frankreich, um die Helden vor dem eigentlichen Rennen zu bestaunen. Gleiches habe ich auch gemacht, wollte mich aber mit dem Traum nicht zufrieden geben. Innerlich hatte ich schon vor 5 Jahren den Entschluss gefaßt, eines Tages an dieser Rallye, bei der Autos, Lastwagen und Motorräder in einem Rennen starten, teilzunehmen. Ich verfolgte alle Berichte und informierte mich ausgiebig über die Rallye. Und jedes Jahr an Silvester war die Sehnsucht besonders gross.

Paris - Dakar ist das Rennen, bei dem die Begriffe "Sport" und "Abenteuer" zu einem Wort verschmelzen. Nicht nur der Sieg zählt.Es sind  die Erlebnisse, die jeder Teilnehmer bei diesem Rennen über 10 000 km durch die Länder Libyen, Niger, Mali, Mauretanien und Senegal zwangsläufig erlebt. Jeder wird an seine Grenzen kommen. Und so ist es in erster Line ein Kampf gegen sich selbst. Wie verhalte ich mich in extremen Situationen, wie komme ich mit mir selbst klar.


Die Vorbereitung


 Im wesentlichen sollte man folgende Fähigkeiten besitzen:

1. Sehr viel Erfahrung im Geländefahren, Wettbewerbserfahrung


2. Rallye-Raid-Spezialkenntnisse (Teilnahme an kleineren Rallyes)

3. Neigung zum sportlichen Wettkampf

4. Gewillt sein, ein Abenteuer von besonderem Ausmaß zu erleben

5. Innere Kraft und Ruhe

6. Geld


Wobei wir auch schon bei meinem größten Problem sind, der Beschaffung von Sponsoren. Das Unternehmen würde ca. 50 000 DM kosten, hatte ich kalkuliert. Mein Ziel war es, wenn möglich nicht mehr als 20 000 DM aus der eigenen Tasche berappen zu müssen, was ich auch fast erreichte. Nicht kalkuliert hatte ich natürlich den Verlust des Motorrades in der Wüste. Schließlich bin ich ein optimistischer Mensch, der noch dazu bei allen 8 vorhergehenden kleineren Rallyes  in Spanien, Tunesien und Ägypten das Ziel erreichte. Doch das sei vorweggenommen, bei der "DAKAR" ist alles etwas anders.


Eine ganze Crew von Freunden startete mit mir in die Endphase der Vorbereitung . Kontakte mit Sponsoren aufnehmen,  Visa besorgen, Kontakt mit der Presse, Motorrad aufbauen, Tanks konstruieren, Ersatzteile besorgen und verpacken, und auch die  körperliche Vorbereitung durfte nicht zu kurz kommen. Der Tag in den Monaten November und Dezember hätte doppelt so lang sein müssen. An den Wochenenden herrschte auf dem Bauernhof in Pürgen bei meiner Mutter Hochbetrieb. Fast rund um die Uhr wurde gearbeitet, denn nicht nur meine Honda NX 650 mußte fertiggestellt werden, sondern auch die Maschine von Georg Kastner, meinem österreichischem Teamkollegen. Wie froh war ich, als wir endlich am 2.Weihnachtsfeiertag im Konvoi mit Transportern und Wohnwagen zum Vorstart nach Brüssel aufbrechen konnten. Unser deutsch-österreichisches Privatteam bestand aus den Fahrern Georg Kastner und mir auf Honda Dominator NX 650, der Besatzung des Serviceautos Klaus Malzer aus Weiden und Dr.Georg Kastner sen. aus Krems bei Wien und dem Betreuer und Mechaniker im Flugzeug, Horst Godel aus Stuttgart. Auch das Serviceauto muß bei der "Dakar" voll im Rennen mitfahren und deshalb genauso vorbereitet sein wie ein wüstentauglicher Rallyewagen. Klaus Malzer und Dr. Kastner hatten sich für einen bereits bei der Pharaonenrallye bewährten VW Synchro-Bus entschieden.


Abnahme in Frankreich


Die Vorabnahme in Brüssel erwies sich als absoluter Flop. DieTeilnehmer aus Deutschland, Schweden, Finnland, Holland, Belgien mußten pseudomäßig vor dem "Holiday In" über die Startrampe fahren, um nach einer Runde um das Hotel das Motorrad wieder in den Transporter zu verladen.


Einen Tag später, am 28.12.90, war die technische Abnahme in Rouen in der Normandie. Mehr als 6 Stunden dauerte diese Angelegenheit. Für das gesamte Starterfeld mit 118 Motorrädern, ca. 200 Autos und 110 Lastwagen waren allein dafür 3 Tage angesetzt worden.


Fahrzeug und Papiere werden untersucht , Informationen und Roadbook ausgeteilt. Und schon hier wird klar, welcher Wahnsinn im Gange ist. Werksteams von Yamaha, Suzuki, Cagiva, Gilera bei den Motorrädern sowie die Teams von Citroen, Mitsubishi, Nissan, Toyota und Lada Poch bei den Autos betreiben einen Aufwand, daß man als Privatfahrer in Versuchung gerät, seine sieben Sachen wieder einzupacken und nach Hause zu fahren. Perfekte Fahrzeuge, mehrere Service-LKW und eine Unmenge von gleichgewandeten Mechanikern lassen mich schon jetzt erahnen, daß ich als Privatfahrer ohne Dakar-Erfahrung nur darum kämpfen werde, überhaupt im Rennen zu bleiben. Eine Plazierung, wie man sie bei einem normalen Rennen ins Auge faßt, kommt hier nicht in Frage. Der Traum und das utopische Ziel heißen nur "Ankommen".


Am Abend des selben Tages stand noch die Fahrt nach Paris auf dem Programm. Eigentlich die erste längere Testfahrt mit der Honda NX 650. Und Peter Römer, ein erfahrener Raid-Rallyefahrer und Seitenwagenspezialist, begleitete uns mit seiner BMW. Falls wir auf den Transportetappen in Frankreich Probleme haben sollten, würde er uns zur Seite stehen. Der Alptraum für mich und auch für alle anderen Teilnehmer ist es, in Frankreich bereits mit einem Defekt liegen zu bleiben, bevor das eigentliche Rennen in Afrika begonnen hat.


Abends um 22:00 Uhr trafen wir bei strömendem Regen in Paris vor dem Chateau de Vincennes ein. Didi Gossner, der uns in Paris erwartete, war bereits wie auf Kohlen gesessen und hatte schon die schlimmsten Befürchtungen. Der Versuch den elektronischen Kompaß zu reparieren hatte die Abfahrt in Rouen verzögert. Alle Fahrzeuge müssen in einen geschlossenen Park ( Parc Fermé ). Dort darf an den Fahrzeugen nicht gearbeitet werden. 


Am 29.12., morgens um 7:00 Uhr, war es dann endlich so weit. Start zur 13. Rallye PARIS -DAKAR und mit dabei die Startnummern 32 und 33, das Team aus Landsberg. 10 000 km durch Frankreich, Libyen, Niger, Mali, Mauretanien und Senegal stehen bevor. Was wird uns diese abenteuerliche Fahrt alles bringen? Wie weit werden wir kommen? Welche Hindernisse und Probleme werden auftreten? Und vor allem wie werde ich persönlich die körperlichen und geistigen Strapazen verkraften? Wie wird meine Welt in 4 Wochen aussehen?


Ca. 50 000 Menschen belagern den Startplatz und als ich im Scheinwerferlicht auf die Startrampe rolle, fühle ich mich bereits irgendwie bestätigt, all die Strapazen auf mich genommen zu haben. Auf den 400 km bis nach Clermont Ferrand begleitete uns eine Welle der Begeisterung. Die Zuschauer stehen zu Tausenden an den Straßen, winken und applaudieren. In den Ortschaften drücken die französischen Fans die Ampeln auf rot, um die Helden zu berühren und einem anschließend viel Glück zu wünschen. So viele Autogramme habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gegeben.


Ein Spektakel von besonderer Art ist der 5 km lange Prolog in Clermont Ferrand. Die einzige Sonderprüfung in Frankreich.Das Ergebnis ist für die Startreihenfolge zur ersten Sonderprüfung in Afrika maßgebend. Und wieder belagern Massen von Zuschauern die Strecke. Nach Zeitungsangaben waren es mehr als 150 000 Personen. Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, fast nicht zu glauben.


Ich starte zusammen mit dem portugisischem Enduromeister Lopes und nach mehrfachen Positionswechseln liege ich im Ziel 5 Sekunden vor ihm. Im Gesamtklassement belege ich Platz 33. Es zeigt sich hier, daß der eingebaute White Power Stossdämpfer noch härter gestellt werden muss. 10 km nach dem Prolog mitten in einer Ortschaft warten Karl-Heinz Mayr und Ludwig Stork mit einem Begleitfahrzeug. Dort werden die letzten Servicearbeiten erledigt bevor wir uns mit den besten Wünschen des örtlichen Bürgermeisters auf die weitere Reise nach Marseille begeben. Von nun an sind wir auf uns selbst gestellt. Für Georg Kastner wäre die Rallye schon beinahe hier zu Ende gewesen, als er auf regennasser Fahrbahn in einer Kurve stürzte . Mit verbeultem Tank und blauen Flecken konnte er jedoch die Fahrt fortsetzen.       

In den dicken Bauch eines Frachters verladen wir im Hafen von Marseille unsere Motorräder. Das Schiff bringt sämtliche Fahrzeuge nach Tripolis. Piloten und Helfer werden am 1.Januar mit mehreren Jumbojets übergesetzt.



Start in Paris


Am 1.Januar 91 um 6:00 Uhr früh startete unser Jumbojet von Marseille nach Tripolis. Dort werden wir schon am Flughafen von der Blaskapelle empfangen. Die Fahrzeuge der Rallyeteilnehmer erreichen Tripolis mit der Fähre erst gegen 24:00 Uhr. Und als ich meine Dominator abhole, muß ich feststellen, daß bereits beide Tanks leck sind. Noch in der Nacht versuche ich mit Spezialklebern die Lecks abzudichten. 1 Stunde Schlaf und dann Start zur ersten Etappe in Libyen. 600 km Verbindungsetappe auf einer sehr gut ausgebauten Teerstraße nach Gadahmes. Der Haupttank mit 51 l Inhalt ist wieder leck geworden, und auch die Benzinpumpe ist defekt. So folgt die zweite lange Nacht. Und schon hier zeigt sich, wie wertvoll ein Mechaniker und Serviceauto sind. Horst Godel, unser Mechaniker montiert den Reservetank. Zum Ersetzen der elektrischen Benzinpume durch eine Unterdruckpumpe reicht jedoch die Zeit nicht mehr.



3. Januar 91 :


Aufstehen um 6:00, Frühstück bei Africatours im Stehen. Africatours ist kein Hotel, sondern ein Turistikunternehmen, das Abenteuerreisen in der ganzen Welt organisiert und während der Rallye mit mehreren Lastwagen für die Verpflegung der Teilnehmer in der Wüste sorgt. Beim morgentlichen  Briefing, der Fahrerbesprechung, erleutert Gilbert Sabin, der Chef der Veranstaltung, was uns Fahrer an diesem Tag erwartet. Er warnt vor  besonderen Gefahren und gibt Änderungen im Roadbook bekannt. Das Roadbook enthält die genaue Wegbeschreibung mit Kilometerangaben und Kompaßkurs. Nach diesen Angaben  muß man den Weg durch die Wüste finden. 570 km Spezialprüfung standen auf dem Programm, zum Eingewöhnen. Nur 75 der 118 gestarteten Motorräder erreichten am Abend bzw. in der Nacht das Zwischenziel Idri. Für die anderen war der Traum Dakar schon hier ausgeträumt. Sehr unwegsames Gelände und schwere Orientierung dezemierten das Feld beträchtlich. Mein Teamkollege Georg Kastner und auch unser Serice- VW-Synchro erreichten das Tagesziel nicht. 50% meiner Ersatzteile waren somit nicht mehr verfügbar. Ich selbst erreichte Idri nach Einbruch der Dunkelheit.  Das Problem mit der fehlenden Benzinpumpe löste ich durch mehrere Tricks und schließlich mit Hife eines Tankdeckels, an dem ein Ventil eingebaut war. Durch Aufpumpen mit einer Luftpumpe reichte der Druck aus, um das Benzin bis zum Vergaser nach oben zu transportieren. Bei Temperaturen von ca. 0 Grad waren die Nächte in Libyen sehr kalt. So war ich sehr froh, daß ich meinen Schlafsack im Rucksack dabei hatte. Honda-Werksfahrer Edi Hau aus München wartete in dieser Nacht vergeblich auf seinen Service-LKW und mußte die Nacht ohne Schlafsack verbringen.


 


4. Januar 91:


530 km von Idri nach Ghat. Zum erstenmal ging es in ein richtiges Dünengebiet. Und ich hatte richtig Spaß am Fahren. Ein Gefühl, wie Skifahren bei Tiefschnee. 10 Fahrer hatte ich bereits überholt, als es plötzlich einen Schlag machte. Die Kette an meiner Dominmator war gerissen und hatte sich furchtbar verkeilt. 2 Stunden Reparatur unter der glühenden Sonne, in mitten der gewaltigen Sanddünen waren angesagt. Mit Hilfe einer kleinen Feile gelang es mir die Kette zu reparieren. Es folgte eine 200 km ebene Sandfläche. Die schnellsten Autos fahren hier Geschwindigkeiten von bis zu 220 km/h. Auch die Speziallastwagen erreichen Spitzengeschwindigkeiten von 180 m/h. Die Werksmotorräder ca. 180-200 km/h. Meine Serien Honda-Dominator erzielte im Sand maximal 130 km/h. Doch wenn der Sand plötzlich feiner wurde, dann mußte ich oftmals vom 5.Gang bis auf den 2. Gang herrunterschalten, um diese Sandfelder überhaupt überwinden zu können. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichte ich ermüdet aber glücklich das Camp in Gath.


Etappe von Ghat nach Tumu (681 km)


 


2000 km hatte ich nun schon zurückgelegt. Der Flugplatz von Ghat in Libyen war belagert vom Rallye-Tross. Ca. 85 Motorräder, 140 Autos und 80 LKW waren noch im Rennen. Mit Mechanikern, Betreuern, Journalisten und den Leuten von der Organisation umfasste das Camp etwa 2000 Personen. Nicht weniger als 37 Begleitflugzeuge füllten den Flugplatz. Am nächsten Tag, dem 5.Januar 91, stand die längste Etappe der ganzen Rallye auf dem Programm. Wobei die Länge einer Etappe allein noch nichts über die Schwierigkeit aussagt. Was uns hier erwartete war nicht nur lang, sondern auch verdammt schweres Gelände. Doch am Morgen ist die Welt noch in Ordnung. Vollgetankt mit 52 l Sprit mache ich mich auf den Weg. Die Strecke München - Hannover liegt vor mir. Nur ohne Autobahn, ohne Straße. Dafür mit jeder Menge Sand und vielen Steinen. Auffahrten, die fast nicht zu schaffen sind. Hier werden sich noch in der Nacht Szenen abspielen, wie sie in keinem Spielfilm vorkommen. Chaos in der Wüste. Eingegrabene LKW und PKW, defekte Fahrzeuge, haufenweise platte Reifen. Und die ärmsten von allen, die Motorradfahrer. Mit erbärmlichem Licht fast orientierungslos in der Wüste werden sie sich durch das Meer aus Sand und spitzen Steinen quälen, bis sie  endlich das ersehnte Etappenziel in Tumu erreichen oder ohne Benzin irgendwo liegen bleiben. Wer nicht vor dem Start zur nächsten Etappe ankommt, ist aus der Wertung.Die ersten 280 km bis zur Tankstation verlaufen für mich recht reibungslos. Nur einmal schrecke ich zusammen, als auf einem glatten Dünenfeld ein Werks-Mitsbishi mit ca. 220 km/h im 5m-Abstand an mir vorbeirauscht. Ich habe das Gefühl zu stehen. Doch ich reiße mich zussammen und steige nicht ab, denn mein Tacho zeigt auch immerhin 130 km/h. Nach dem Tankstop mitten in der Wüste, das Bezin wird extra dorthin transportiert, wird das Gelände schwer. Die erste große Sandauffahrt schaffe  ich noch ausgezeichnet, doch dann irre ich zusammen mit mehreren Autos und Motorrädern fast eine Stunde auf einem Felsplatteau hin und her, um den richtigen Weg zu finden. An diesem Tag stürze ich zum erstenmal. Hatte ich doch die Illusion ohne Sturz nach Dakar zu kommen! Doch nun wird mir klar, daß dies unmöglich ist. Nach mehreren Ausgrabungen passiert es dann. Bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h schreie ich plötzlich auf dem Motorrad sitzend vor Schmerzen. Irgendetwas ist mit meinem linken Fuß passiert, und ich dachte nur, daß das Rennen nun für mich beendet ist. Ich war zu knapp an einem Felsen vorbeigefahren und mit dem Stifel hängen geblieben. Der Fuß wurde mir von der Fußraste geschlagen und die Ferse knallte gegen den Hecktank. Unter großen Schmerzen konnte ich das Fußgelenk bewegen, so daß ich die Fahrt nach 20 Minuten Pause  fortsetzte. Mit halber Geschwindigkeit, dafür mit vielen Stürzen, da ich mich mit dem linken Fuß nicht mehr abstützen konnte, setzte ich die Fahrt fort. Vor einem 100 m hohen Steinberg galt es noch eine Düne zu überwinden. Ich stürzte dort so unglücklich, daß ich die 240 kg schwere Maschine nicht mehr aufstellen konnte. Der Engländer John, der mit einer Honda African-Twin vom Honda-Werks-Team für England unterwegs war, kam angefahren. Er stellte seine Maschine ab, und humpelte zu mir her. Ich sagte: "John, was hast Du gemacht"? Er antwortete: "Ich bin mit dem rechten Fuß an einem Felsen hängen geblieben, mein Mittelfußknochen ist gebrochen". Mit vereinten Kräften wuchteten wir von nun an unsere Motorräder abwechselnd aus dem Sand.

Die Strecke wurde nicht besser, sondern immer schlechter. Weicher Sand mit kurzen Hügeln, garniert mit einer Unzahl von spitzen Felsen und Steinen.

200 km hatten wir noch bis zum Etappenziel Tumu, als die Sonne am Horizont verschwand. Nachts in dieser Wüste, teilweise ohne Orientierung, immer nur die Spuren der anderen Fahrzeuge verfolgen mit dem einfachen Licht eines Motorrades. Es war kurz gesagt die Hölle. Ich weiß nicht, wie oft ich in dieser Nacht gestürzt bin. Wie glücklich war ich, als ich nachts um 23:30 Uhr die Lichter vom Flugplatz in Tumu erblickte. 16 Stunden harte Arbeit lagen hinter mir. Die Ärzte behandelten sogleich meinen rundum blauen Knöchel, und stellten Gott sei Dank fest, daß nichts gebrochen war. Mit entsprechenden Medikamenten versorgt, konnte ich die Rallye fortsetzen.



Wüste TÉNÉRÉ

Noch drei Tage bis nach Agadez. In der Hauptstadt der Republik Niger wird die Rallye einen Ruhetag einlegen. Die Händler aus der ganzen Umgebung warten auf diesen Tag. Wenn die Rallye kommt, dann kommt auch das große Geld. Die Preise sind dann mindestens doppelt so hoch und die Händler lassen nicht mehr locker, bis man ein orginal Tuaregmesser oder das "Kreuz von Agadez" ersteht. Doch bis zum 8.Januar sind es noch drei Tage. Drei Tage Wüste. Die Wüste der Wüsten,  die "Ténéré" steht bevor. Sand so weit das Auge reicht, nichts als Sand. Zuerst ebene Flächen, rein nach Kompaßkurs zu fahren und dann kommen die Dünen. Die schönsten und größten Dünen, die ich bisher gesehen habe. An manchen muß ich mehrere Versuche starten, um sie mit meiner Honda Dominator ( Einzylinder, 45 PS ) überhaupt zu erklimmen. Bis zu 50 m sind diese wünderschönen Sandgiganten hoch. Oben angekommen, geht es meist fast senkrecht wieder hinunter. Wenn man jetzt nicht entsprechend Gas gibt, dann stürzt man kopfüber hinunter, da sich das Vorderrad eingräbt. Es hat ca. 30 Grad und die Sonne steht senkrecht über dem Himmel. Noch 150 km über die Dünen der Ténéré und dann nur noch einen Tag bis Agadez. Ich versuche meine Angst zu verdrängen. Die Angst, ob ich überhaupt auf dem richtigen Weg bin, daß ich eine Düne hinunterstürze oder im tiefen Sand stecken bleibe. Um eine Düne zu erklimmen, muß man die entsprechende Geschwindigkeit und genügend Schwung haben. Und das ist auch das Problem. Denn wenn man zu schnell ist, oder den Dünenkamm nicht rechtzeitig erkennt, dann ist ein Freiflug angesagt. Und dieser kann böse enden. Einen derartigen Flug macht auch Edi Hau aus München, eingesetzt von Honda-Deutschland im Honda-Europa-Team. Er übersieht den Kamm einer Düne. Fahrer und Maschine stürzen darauf ca. 6 m in die Tiefe. Das Motorrad überschlägt sich mehrmals. Doch Edi ist unverletzt und auch die Honda African-Twin hat den Sturz in den weichen Sand fast ohne Schramme überstanden.


3 Tage bis zur Halbzeit:


- Tumu - Dirkou        600 km


- Dirkou - Gossololom  450 km


- Gossololom - Agadez  600 km


Der Motor meiner Honda Dominator läuft wie ein Uhrwerk. Im tiefen Sand kommt mir manchmal der Gedanke "Wie kann ein Motor eine derartige Schinderei überhaupt aushalten? Warum geht der eigentlich nicht kaputt?

An einem Platz mit Namen "Gossololom" schlägt die Rallye ihr Nachtlager auf. Mitten in der Wüste. Der nächste Ort ca. 400 km entfernt.  Station einer Marathon-Etappe. Das heißt, es gibt keinen Service, keine Helfer, und auch die Fahrer selbst dürfen keine Reperaturen an den Fahrzeugen vornehmen.

Die Autofahrer erkennt man in so einer Nacht daran, daß sie in der Regel ein Zelt haben. Motorradfahrer dagegen schlafen unter freiem Himmel. Ein Zelt findet auf dem Motorrad keinen Platz. Für Edi Hau, Herbert und Patrizia Schek, John Watson Miller und mich wurde jedoch dieser einsame Ort in der Wüste zu einem Schlaraffenland. Machten doch zufällig 2 deutsche Wüstenfahrer mit ihren Hanomag-Wohnlastwagen hier Station. Und die hatten alles dabei, wovon man in der Wüste normalerweise nur träumen kann. Kaffee, Bier, Rotwein, Schnaps und als Höhepunkt meine Lieblingsspeise: "Spagetti mit Fleischsoße". Am 8.Januar erreiche ich nach einer abermals 600 km langen schwierigen Etappe erschöpft, aber überglücklich das Zwischenziel in Agadez. Endlich wieder unter Menschen. Und sogar deutsche Fans nehmen mich in Empfang. Auch mein Mechaniker Horst wartet schon sehnsüchtig auf meine Ankunft. Von den 118 gestarteten Motorräder sind nur noch 61 im Rennen. Nach all meinen Pannen bin ich mit Platz 50 im Gesamtklassement und Platz 8 in der Klasse der Serienmaschinen recht zufrieden. Das Ziel erreichen ist mein Ziel. Und das Ziel ist Dakar. Doch bis dahin sind es noch 4000 km.


Agadez - Tillia - Gao - Tombouctou



Huck !!!! Das ist alles, was der stolze Tuareg von sich gibt und deutet mit der flachen Hand in eine Richtung.  Dort liegt die Stadt Tillia. Seit mehr als einer Stunde suche ich nach dem richtigen Weg. Plötzlich entdecke ich am Horizont eine Staubwolke. Und ich weiß genau, eine derartige Aufwirbelung an Staub kann nur von einem Rallye-Fahrzeug stammen. Gott sei Dank, ich bin auf dem richtigen Weg. 1146 Kilometer in zwei Tagen. Die Strecke führt querfeldein von Agadez bis nach Gao. Gao liegt im östlichen Teil des Staates Mali. Der dritte Wüstenstaat, den wir bei unserem Wahnsinnsrennen durchfahren.


Mitterweile sind beide Fahrzeuge, auf denen ich meine Ersatzteile deponiert habe, ausgefallen. Der VW-Synchro-Prototyp von Malzer/Kastner blieb stecken und schaffte die Sollzeit nicht und der französische Mercedez-LKW mußte in Agadez mit defektem Getriebe die Segel streichen. Nur die notwendigsten Ersatzteile für meine Dominator NX 650 sind nun auf einem russischen KAMAZ-LKW.

 Nach zwei Wochen auf dem Motorrad spüre ich nun langsam eine gewisse Leere und die ganze Härte dieser Rallye geht an die Substanz. Es wird zum Kampf gegen mich selbst. Der Spaß am Motorradfahren bleibt auf der Strecke. Speziell am 11. Januar auf dem Abschnitt Tillia - Gao muß ich meinem Unmut über die brutale Streckenbeschaffenheit mit lautstarken Schreien während der Fahrt Luft verschaffen. Ich muß Härte beweisen, denn um die restlichen 630 km noch bei Tageslicht zuschaffen, darf ich keine Minute verlieren. Und obwohl mich die Schmerzen in den Unterarmen und am Hinterteil quälen und ich vor Durst fast umkomme, halte ich nicht an. Fahren, fahren um jeden Preis heißt die Devise. Noch 100 km querfeldein, rein nach Kompaßkurs, dann muß eine Straße auftauchen.  Plötzlich steht eine riesige schwarze Rauchwolke vor meinen Augen. Der Werks-Citroen von Jacky Ickx steht in Flammen. Fahrer und Beifahrer stehen in sicherer Entfernung. Ich halte an und fotografiere dieses Schauspiel. Als ich Jacky frage, was denn passiert ist, antwortet er mir: " I don't know, it just burned." Wie ich später im Lager erfahre, waren die Stoßdämpfer in dem unwegsammen Gelände zu heiß geworden und explodiert. Dabei gelangte Oel auf den Turbolader und das Fahrzeug im Wert von ca. 500 000 DM geriet in Brand. Keine 50 km weiter das gleiche Schauspiel. Ein weiterer Citroen, jener von Börn Waldegard, steht in Flammen. Noch vor Sonnenuntergang erreiche ich Gao. Und dies allein ist der Lohn, der mich glücklich stimmt. Ich habe es wiedereinmal geschafft. Die allgemeine Stimmung in Rallyelager ist aber auf dem Tiefpunkt. Die mörderische Strecke hat ihr Tribut gefordert. Zwei Werks-Citroen sind abgebrannt . Doch ein weitaus schlimmeres Ereignis ist es, das die Verantwortlichen dazu zwingt, darüber nachzudenken, ob die Rallye überhaupt fortgeführt werden kann. Der Fahrer eines Service-Lastwagens aus dem Camel-Citroen-Team, Charles Cabane, wurde bei der Fahrt durch ein Dorf von Soldaten erschossen. Und nun wird die politische Misere in Mali langsam transparent. Die Tuaregs und die Soldaten stehen sich schon seit einiger Zeit mit kriegerischen Auseinandersetzungen gegenüber. Mehr als 1000 Tote soll es in den letzten Monaten gegeben haben.


Die Rallye wird weitergeführt entscheidet Gilbert Sabine, der Mann, der nach dem Tod seines Sohnes Thierry die Leitung der Rallye Paris-Dakar übernommen hatte. Thierry Sabine starb bei der Rallye Raris-Dakar 1986, als sein Hubschrauber bei Sandsturm an einer Düne explodierte. Auch damals wurde die Rallye fortgesetzt, so wie es Thierry Sabine in seinem Testament gefordert hatte.


Die nächste Etappe wird anulliert und in Gruppen zu je 4 Fahrern legen wir die Strecke nach Tombouctou zurück. Aber ein weiteres politisches Problem zeichnet sich ab. Vom 13. bis 16. Januar wird die Rallye in Mauretanien sein. Mauretanien hat sich mit Saddam Hussein solidarisch gezeigt und das Ultimatum der Amerikaner läuft am 15. Januar 91 aus. Wie wird sich Mauretanien verhalten, wenn es am Golf zum Krieg kommt? Viele Fahrer sind für einen Abbruch der Veranstaltung. Aber "The Show must go on".

Und so starte ich am nächsten Morgen erneut. Was bleibt mir auch schon anderes übrig? Sollte ich kurz vor dem Ziel meiner Träume aussteigen? Nein auf keinen Fall. Ich will nach Dakar!



Mauretanien


Waren in Mali die Menschen so schwarz wie die Nacht, so änderte sich das Bild in Mauretanien total. Der arabische Einfluß der Menschen tritt wieder in den Vordergrund. Und noch stärker als der Wandel der Menschentypen ist die Vielfältigkeit der Landschaften, Wege und Strecken. Vom tiefen Sand zu staubigen Pisten, Steppe, Schotterpassagen und Steinfelder. Die Stoßdämpfer schlagen unzählige Male durch und die Felgen sind nicht mehr ganz rund. Und ich selbst spüre, daß ich nur noch das Ziel herbeisehne. Nur noch 4 Tage bis Dakar. Das Ziel liegt nahe. Aber die erfahrenen Piloen warnen mich vor der letzten schwierigen Marathon-Etappe über 1000 km in Mauretanien. Nema - Tichit - Kifa . Auch in den Jahren vorher waren die Etappen in Mauretanien meistens die Hölle. Nach einem nächtlichen Sandsturm in Nema stehe ich nun zum 14. Mal an der Startlinie und der Starter klappt in gekonnter Weise seine Finger nach innen. 5-4-3-2-1-Start. Die Fahrt ins Ungewisse geht weiter. Nach 10 km gilt es einen extrem steinigen Paß zu bezwingen. Mit vollen Tanks ein sehr schwieriger Abschnitt. Und vor mir liegt plötzlich mein englischer Freund John in den Steinen. Sein rechter Mittelfußknochen ist gebrochen und das rechte Knie hatte er sich am Tag vorher bei einem bösen Sturz verdreht. Nun ist endgültig Schluß. Mit Schmerzen liegt er zwischen den Felsen. Die Dakar ´90 ist für ihn nun zu Ende. Aus ist der Traum, als erster Engländer auf dem Motorrad das Ziel zu erreichen.


Die Mauretanische Wüste hat es mir seit diesem 13.Januar angetan. Nicht im Positiven, sondern im Negativen. Ich will dort eigentlich nicht mehr hin. Die gigantischen Dünen in Libyen, das Sandmeer der Wüste Tenere, dort wird es mich eines Tages wieder hinziehen. Nicht aber nach Mauretanien. Es ist alles so unheimlich und unfreundlich, so schwer und so hinterlistig. Vielleicht liegt es an meiner Stimmungslage, daß ich mich mehrmals verfahre, im Sand stecken bleibe und meine Maschine mehr als 20mal ausgraben muß. Immer wieder bleibe ich stecken. Ganz plötzlich wird der Sand so weich wie Mehl, das Vorderrad sackt nach unten weg, und ein Überchlag nach vorne mit zweifachem Salto ist die Folge. Stundenlang schon das gleiche Spiel. Einsanden, mit den Händen den Sand wegräumen, Maschine kippen und herausziehen. Und das bei Temperaturen von ca. 40 Grad im Schatten. Nur Schatten gibt es nicht. Manchmal liege ich 5 Minuten neben der Maschine, bis ich mich wieder etwas erholt habe.Wo bin hier nur gelandet? Ein Dünenmeer, das eigentlch gar nicht so schlimm aussieht. Aber ich habe abends um 17:00 einfach keine Kraft mehr. Und vor allem, ich weiß nicht genau, wo ich bin. 180 km bis zum Nachtlager Tichit. Das Motorrad steckt im tiefen Sand und ich habe alleine keine Chance mehr. Es ist aus. Der Wahnsinn ist für mich zu Ende. So glaube ich zumindest. Ich schalte den Notsender ein und hoffe, daß in wenigstens 1 Stunde ein Helicopter des Veranstalters meine Signale aufnimmt und mich herausholt.


 


Allein in der Wüste


Es wird dunkel und ich verschiebe meine Hoffnung auf den nächsten Tag. Am Horizont beobachte ich mehrfach Lichter. Doch kein Fahrzeug kommt in meine Nähe. Im Wassertank sind noch ca. 3 Liter. Ich weiß, daß ich sehr sparsam sein muß. Mit einem kleinen Benzinschlauch gönne ich mir nur sehr selten einen kleinen Schluck von dem lebensnotwendigen Stoff. Welch ein Unterschied zu den Gewohnheiten im normalen Leben. Es artet fast zu einer Zeremonie aus. Nie habe ich vorher die elementare Wichtigkeit von Wasser so erlebt. 


Da es in der Nacht empfindlich kalt wird, bin ich um meinen Schlafsack äußerst froh. Im Sand liegend blicke ich in einen wunderbaren Sternenhimmel, doch noch viel schöner und weitaus schlimmer ist das Bild, das ständig vor meinen Augen erscheint.  Ein eisgekühltes Weißbier.

Wie schön wäre es nun zu Hause. Am nächsten Morgen bin ich wieder bei Kräften und ich kämpfe mich bis zu einem Felsenberg durch. Vom Gipfel aus lege ich die neue Marschrichtung fest. Kompaßkurs 60 °. Dort liegt die Hügelkette, an die ich mich am Tag zuvor hätte halten müssen. Doch dazwischen liegen nocheinmal ca. 20 km Sanddünen. Und wieder ist es die gleiche, heimtückische Art von Dünen, wie am Tag zuvor. Frisch aufgeweht, kurz und abgehakt, und plötzlich bodenlos tief.


Die Sonne brennt vom Himmel und wieder schaufele ich mit den Händen den Sand zur Seite. Motorrad umlegen und mit aller Kraft herausziehen.


Nachmittags um 14:00 grabe ich mir neben meiner Honda Dominator eine Mulde, um im tieferliegenen Sand etwas Kühlung zu finden. "Ob sie mich wohl suchen? Wie lange wird mein Wasser noch reichen?“ Die Gedanken um das Leben werden in dieser Situation ziemlich wesentlich. Doch irgendwie bin ich mir sicher, daß ich hier herauskommen werde. Und wieder springe ich auf, als ich das Geräusch eines Motors höre. Doch diesmal ist es nicht nur der Wind, sondern ein zweimotoriges Sportflugzeug. Ich zünde eine Leuchtrakete. Das Flugzeug kommt näher. Ich bin gerettet. An einem Fallschirm schwebt ein Paket mit Wasser und Essen herunter. Welch ein schönes Gefühl. Wasser, einfaches Wasser erfüllt mich wieder mit Leben. Auf einer Skizze hat mir einer der Piloten meinen Standort aufgezeichnet. Noch bin ich 10 Kilometer  von der Rallyeroute entfernt.


Nachts wird der "Besenwagen" kommen, steht auf dem Zettel. Der "Besenwagen" (Camion Ballai) ist ein großer Tatra-LKW von der Therrie Sabine Organisation, der alle ausgefallenen Piloten aufsammelt. Da aber der Lastwagen in das Dünenmeer, in dem ich mich befinde nicht hineinfahren kann, ist auf einer Skizze meine Marschrichtung zum vereinbarten Treffpunkt eingezeichnet. Kompaßkurs 68° .


Ein letztes Mal starte ich einen Versuch, mit dem Motorrad die Strecke zu bewältigen. Doch für eine Strecke von 200 m benötige ich mehr als eine Stunde. Ich muß mich entscheiden. Ich entschließe mich für das Wesentliche. Mein Leben. Ein letzter Gruß an meine liebgewonnene Honda Dominator und ich setzte meine Rallye Paris - Dakar zu Fuß fort. Ich spüre eine gewisse Freiheit. Der Klotz am Bein, das Motorrad, ist nun endlich weg. Nicht mehr schieben und ausgraben bis zum Umfallen.  Ich spüre in diesem Moment, daß materieller Besitz nicht zur persönlichen Freiheit führen kann. In vielen Fällen ist er sehr belastend. Vielleicht eine Erkenntnis für das Leben. Materielle Werte sind ersetztbar, nicht aber das individuelle Leben.


Das Licht meiner Stirnlampe gibt nicht mehr viel her und so marschiere ich in der Dunkelheit wie ein Blinder. Gelegentlich kontrolliere ich den Kompaßkurs. Cap 68°. In voller Motorradmontur erklimme ich die Dünen. Von einem Schritt nach vorne bleibt oft nicht viel übrig. Nach 300m ist jeweils eine Pause angesagt. Ich spüre, daß meine körperlichen Kräfte schon ziemlich am Ende sind. Auf einer Düne angekommen, sinke ich zusammen und schlafe ein.


In den frühen Morgenstunden des 16. Januars 1991 setze ich bei einem aufkommenden Sandsturm den Fußmarsch fort. Noch ist es recht kühl. Gegen 11 Uhr habe ich es geschafft. Endlich wieder fester Boden unter den Füssen. 


"Hallo, how are you? What do you want to drink? Beer, wine, cola, we have everything". Mit diese Worten empfängt mich Danny Porcher. Ein 50-jähriger Franzose, der seit 10 Jahren einen der beiden "Besenwagen“ steuert.


Auf dem "Lumpensammler“ 


Drei angetriebene Achsen und 360 PS hat der tschechische TATRA-LKW.


Ausgestattet ist der "Besenwagen" wie die Lastwagen im offiziellen Teilnehmerfeld. Nur auf der Ladefläche sind keine Ersatzteile. Dort sind 12 Schalensitze quer zur Fahrtrichtung montiert. Anschnallen kann man sich allerdings nicht, denn es gibt keine Gurte. All jene, die ihre Fahrzeuge wegen Unfällen oder technischer Defekte in der Wüste zurücklassen müssen, kommen in den Genuß einer Fahrt auf diesem Lastwagen. Es ist ein Erlebnis, das man nie vergessen wird. Der TATRA ist sehr hart gefedert und deshalb bin ich mehr in der Luft als in meinem Sitz. Wenn ich mir während der Fahrt den Staub aus den Augen wischen möchte, wird dies zu einem gefährlichen Unternehmen. Die Finger schön locker lassen, sonst steche ich mir selbst die Augen aus. Nach meinen zwei einsamen Nächten in der Wüste Mauretaniens bin ich jedoch glücklich, wieder unter Menschen zu sein, so daß mir diese Unannehmlichkeiten nichts mehr anhaben können. Zwei Italiener haben die Etappe von Nema nach Tichit ebenfalls nicht geschafft. Die Hinterradachse ihres Dahihatsu-Geändewagen ist gebrochen. Der Fahrer ist mit den Nerven ziemlich am Ende. Erst nach zwei Tagen bemerke ich, daß zwischen den beiden absolute Funkstille herrscht. Sie sprehen kein Wort miteinander. 10 Minuten nachdem die Italiener ihre Schalensitze bezogen haben, sind sie beide seekrank und müssen sich übergeben.


17. Januar 1991:


Die Rallye ist in Dakar und über einen letzten Funkspruch erfahren wir, daß am Golf der Krieg ausgebrochen ist. Wir sind immer noch in dem Land, das sich auf die Seite von Saddam Hussein gestellt hat, Mauretanien. Ich habe ein ziemlich ungutes Gefühl. In den Ortschaften wird unser LKW mit Steinen beworfen. Die Scheiben sind bereits gesprungen. Wir müssen schnellstens dieses Land verlassen. Der Funkkontakt zu den Flugzeugen der Organisation ist abgebrochen. Ob sie wohl wissen, daß wir noch in Mauretanien sind?


 


 


18. Januar 02:00 Uhr nachts


Der LKW ist mit ca. 100 km/h auf einer relativ guten Piste unterwegs. Ich döse in meinem Sitz, denn an schlafen ist nicht zu denken. Plötzlich reißt es mich aus meinem Sitz und ich fliege quer über die Ladefläche des LKW. Anschließend werden wir noch einmal in die Luft geworfen. Dann herrscht Stille. Der Lastwagen steht, Motor und Innenbeleuchtung sind aus. Ich weiß gar nicht, ob es Traum oder Wirklichkeit ist. Der rechte Oberschenkel schmerzt. Die beiden Italiener liegen auf mir. Einer stöhnt vor Schmerzen. Ein Knäuel aus Menschen, Werkzeug und sonstigen Teilen. Die Schulbücher, bestimmt für eine Schule in Dakar, sind im ganzen LKW zerstreut. Passiert ist folgendes: Der Fahrer hatte einen Qued, einen quer zur Piste verlaufenden 4 Meter breiten und 1,20 Meter tiefen Graben, übersehen. Solche Abspülungen entstehen durch starke Regenfälle. Auf dem ausgetrockneten Boden fließt das Wasser an der Oberfläche ab und bildet reißende Bäche und Flüsse, welche sich ihren eigenen Weg bauen.


Einer der Italiener hat eine starke Platzwunde am Kopf und ist für kurze Zeit bewußtlos. Beifahrer Danny erleidet Rippenprellungen und mich schmerzen der rechte Oberschenkel und der kleiner Finger. In Anbetracht der Situation bin ich jedoch froh, daß ich überhaupt noch am Leben bin. Weitaus schlimmer als unsere Verletzungen ist der Schaden am Fahrzeug. Die Frontpartie ist trotz Schutzplatte eingedrückt und durch ein großes Loch in der Ölwanne rinnt das Öl heraus. Der Italiener "Di Mario" erweist sich als Mann der Stunde. In Kanistern fängt er das Öl auf und mit einem Spezialkleber repariert er das Leck.


Um 10:00 Uhr können wir unsere Abenteuerreise durch Mauretanien fortsetzen. Doch nach weiteren 80 km müssen wir den LKW endgültig abstellen. Die Ölpumpe ist geplatzt.  Nach einer weiteren Nacht gelingt es uns mit Hilfe der Polizeistation ein Buschtaxi zu organisieren.  1000.- DM ist der Preis für die 70 km lange Strecke bis nach Selibabi nahe der Grenze zu Senegal. Diese Grenze ist jedoch seit Wochen gesperrt. Somit bleibt nur die Möglichkeit über Mali nach Senegal, und somit nach Dakar zu gelangen.  Bei der Polizei versuchen wir Kontakt mit der TSO-Organisation in Dakar aufzunehmen. Dies ist nur über Funk möglich, denn ein Telefon gibt es nicht. Doch es ist kein Durchkommen.


Ein französischer Entwicklungshelfer in Selibabi besorgt uns einen Landrover, der uns noch in der Nacht nach Mali bringt. Daß wir nachts die gebrochene Kardanwelle mehr als 3 Stunden lang reparieren, kann uns in dieser Situation kaum noch belasten.


Die Grenze nach Senegal überschreiten wir zu Fuß, begleitet von einem Eseltaxi, der das Gepäck transportiert. Nach stundenlangem Warten auf der Polizeistation bringen uns zwei weitere Taxis über eine abenteuerliche Piste nach Tambacunda und dann nach Dakar.


 Endlich in Dakar

Endlich eine Badewanne. Es ist der 20. Januar 1991, 23:00 Uhr. Die Rallye ist seit mehr als 3 Tagen zu Ende und meine Irrfahrt hat nun 7 Tage gedauert. Doch ich bin glücklich wie selten zuvor, und ich kann mich nicht erinnern, daß ich je besser und vor allem bewußter gegessen habe als in dieser Nacht im Hotel Continental. 2 Tage später bin ich endlich wieder zu Hause bei meiner Familie.

Das Abenteuer Paris-Dakar ist beendet.


Am 23.12.91 ist wieder Start in Paris. Doch diesmal heißt es nicht Paris-Dakar sondern Paris-Kapstadt. 13000 km sind zu bewältigen.  Jetzt kommt sie, die Antwort auf die Frage, ob ich wieder dabei bin.

 Die Antwort heißt: "Nein !! (Leider)".

                                                           Norbert Schilcher



"Als ich durch die Wüste mit dem Tode um die Wette lief, habe ich wieder einmal eine Wahrheit gestreift, die so schwer zu verstehen ist. Ich habe mich verloren geglaubt, war in den Abgrund der Verzweiflung gestürzt, doch nachdem ich zum Verzicht bereit war, fand ich den Frieden."


                                                                                  Antoine de Saint-Exupéry

Rallye Dakar 1995

Zweiter Versuch 1995

Rallye Granada-Dakar auf Honda Dominator NX 650

Norbert Schilcheri und die Rallye Granada-Dakar mit Honda NX 650 Dominator
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